WiWi-News Detail

Brexit.Verhandlungsexperte warnt vor Lose-Lose-Lösung

Brexit.
Remigiusz Smolinski, Honorarprofessor für Verhandlungsführung an der HHL Leipzig Graduate School of Management: „Harter Brexit könnte im Laufe der Verhandlungen revidiert werden“

Heute stellt die britische Premierministerin Theresa May den schriftlichen Antrag zum Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union. Nachdem das Austrittsverfahren nach Artikel 50 des Lissaboner Vertrags eingeleitet wird, haben die EU und das Vereinigte Königreich zwei Jahre Zeit, die Austrittsbedingungen zu verhandeln sowie die Regeln zu vereinbaren, die die zukünftige Beziehung zwischen beiden bestimmen werden. Remigiusz Smolinski, Honorarprofessor für Verhandlungsführung an der HHL Leipzig Graduate School of Management, sieht wichtige Hebel bei beiden Parteien, ihre Verhandlungsmacht punktuell oder dauerhaft stärken zu können. Jedoch wendet er ein: „Wenn diese Mächte aufeinander prallen, besteht das Risiko, Fronten zu verhärten und die Lösungsorientierung zu verlieren. Das wiederum könnte in einer Lose-Lose-Lösung münden.“

Reputation der Parteien in der Öffentlichkeit wichtig
Theresa May hat einen harten Brexit angekündigt, d.h. keine EU-Teilmitgliedschaft oder assoziierte Mitgliedschaft und den Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt, der Zollunion und dem Europäischen Gerichtshof. Die EU hat hierauf entsprechend deutlich reagiert. Vor diesem Hintergrund wird laut des Verhandlungsexperten deutlich, dass die Reputation der Parteien in der Öffentlichkeit ein sehr wichtiges Thema sein wird. Prof. Smolinski: „Ich erwarte einen ähnlichen Verhandlungsverlauf wie bei Tarifverhandlungen mit intensiven Verhandlungen über viele Tage und Nächte, verhärteten Fronten, die sich lange sehr wenig bewegen und gegenseitigen Anschuldigungen für einen geringen Fortschritt.“ Die hieraus entstehenden Reputationseffekte seien laut des Experten für beide Parteien wichtig, allerdings etwas wichtiger für die Regierung von Premierministerin May. „Meine Empfehlung wäre es, den Verhandlungsführern eine Möglichkeit zu geben, in der Öffentlichkeit zu erscheinen und sich als gute Verhandlungsführer zu positionieren“, so Prof. Smolinski. Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass die Reputation alleine den Parteien keine Lösungen liefert. Für die Verhandlungen empfiehlt Prof. Smolinski, Verhandlungsgegenstände monetär zu quantifizieren. „Nur dann ist es möglich, sinnvolle Zugeständnisse zu machen, die die Verhandlungssituation verbessert“, so der HHL-Professor.

Da der Brexit zum ersten und wahrscheinlich auch zum letzten Mal passiert, gibt es laut des Verhandlungsexperten keine Standardlösung: „Gefragt ist jetzt ein hohes Maß an Kreativität und unkonventionellem Denken. Während der anstehenden Verhandlung ist es wichtig, offen zu bleiben und neue Lösungsideen zu generieren und stets ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.“

„Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist“
Mit Blick auf den eigentlichen Verhandlungsprozess meint Prof. Smolinski: „Ähnlich wie bei Beitrittsverhandlungen scheint mir sinnvoll, den Verhandlungsprozess in Kapitel aufzuteilen, diese unter Experten zu besprechen und nach Lösungen zu suchen.“ Vor dem Hintergrund der Formel „Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist“ sollten einzelne Kapitel laut des Experten jedoch nur vorläufig geschlossen werden bis die gesamte Vereinbarung final sei.

Vor dem Hintergrund profunder Erfahrungen und Fähigkeiten durch lange komplexe Verhandlungen in der Geschichte der Europäischen Union ist Prof. Smolinski überzeugt, dass die EU und das Vereinigte Königreich ein Abkommen „in letzter Minute“ vereinbaren werden. Laut des Verhandlungsexperten werden dabei keine der Parteien alle Forderungen komplett durchsetzen können, deshalb sei es spannend zu beobachten, ob und wie die Verhandlungsführer den Durchbruch erzielten. Zum Ausgang der Verhandlungen sagt Prof. Smolinski: „Vermutlich ist der harte Brexit nur ein Fixpunkt, der im Laufe der Verhandlungen revidiert wird.“ Er könne sich zudem vorstellen, dass die Parteien eine Reihe von Übergangszeiten für den Austritt festlegten. Letztlich könnte laut des Verhandlungsexperten ein neues, lockeres Assoziationsmodell zwischen Großbritannien und der EU vereinbart werden.

Webseite mit weiteren Informationen

Teile diese WiWi-News: