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Zukunftsgeschichten: Alles einsteigen, bitte!

Zukunftsgeschichten: Alles einsteigen, bitte!
Kann man Menschen dazu bringen, etwas zu schildern, das es noch gar nicht gibt? Und ob: Für eine Studie der Hochschule Luzern haben 84 Menschen aufgeschrieben, wie sie im Jahr 2057 mobil sein werden. Hier eine Auswahl ihrer Zukunftsvisionen.

«Stell dir vor, du gehörst 2057 zur arbeitenden Bevölkerung. Beschreibe in einer Geschichte, wie ein normaler Dienstag in deinem Leben aussieht. Wie, wo und wann arbeitest du? Wie bist du unterwegs, wen triffst du?» Diese Fragen wurden in Workshops des Zukunftslabors CreaLab der Hochschule Luzern verschiedensten Menschen gestellt. Innerhalb von wenigen Minuten brachten die Teilnehmenden ihre Visionen zu Papier. 221 Geschichtsfragmente kamen heraus: Dabei reicht die inhaltliche Bandbreite von totaler Digitalisierung und Dauermobilität bis zu Aussteigervisionen. Lesen Sie hier eine Auswahl der Geschichten, die für die Publikation in einem kleinen Sammelband von 32 Geschichten überarbeitet wurden.



Barbara Kummler schreibt in ihrer Geschichte über Lea, die mit einer mobilen Einheit unterwegs ist.
Moderne Nomaden
In der neuen Stadt mit der Bahn angekommen fand sich Lea schnell zurecht und erreichte ohne grosse Mühe einen Platz, den sie von früher kannte. Hier fand damals immer der Weihnachtsmarkt statt. Sie setzte sich auf eine freie Parkbank und blies ihren Mantel auf, bis Vorder- und Rückenteil eine ansehnliche Grösse erreichten, sich versteiften und per Knopfdruck lärmundurchlässig und temperaturangepasst waren. Ihre mobile Einheit war nun kein Kleidungsstück mehr, sondern ein kleines, gemütliches Zelt. Nun war auch die Elektronik hochgefahren und die Hülle wurde zum interaktiven 360 Grad Screen. Der Screen begann zu flimmern und die neuen Aufträge und Arbeitspakete der aktuellen Projekte prasselten unentwegt herein. Ihr Kollege Peter clusterte sie laufend und verteilte sie vor ihren Augen auf freie Mitarbeiter. Er machte das genau in ihrem Sinne.
Ja, sie waren ein gutes Team, auch über Distanz. Sie übernahm also die Moderation des anstehenden Meetings und beobachtete Peters Aktivitäten nur noch aus dem Augenwinkel. Felix begann das Meeting mit Erzählungen aus seinem Urlaub, seine Urlaubsfotos mäanderten über ihren Screen, andere Teammitglieder ergänzten sie mit projektrelevanten Informationen, sodass seine Bilder allmählich überlagert wurden. Eine halbe Stunde lang wurde gemixt, bebildert und diskutiert, bis eine neue Produktidee entstand, die alle tragfähig fanden. Das weitere Prototyping würde nun wiederum Peter in Arbeitspakete zerlegen und steuern. Lea schob ihm den neuen Auftrag zu, denn sie musste weiter.
Sie kam an diesem Morgen aus einem ganz bestimmten Grund hier an. Sie wollte eine alte Freundin besuchen, die sich kürzlich hier ein Haus gekauft hatte. «Wie altmodisch und unpraktisch, sich an einem festen Ort ein Haus zu kaufen», dachte Lea. «Wie macht sie das bloss, so unflexibel zu sein? Das muss sie mir gleich erklären.» Sie verwandelte ihre mobile Einheit zurück in einen weichen Mantel, hielt dabei mit Peter weiterhin Kontakt und ging über den Platz zur nächsten Bahn. «Diese Zeltstädte sind ganz schön unübersichtlich geworden», murmelte sie, als sie versuchte, sich einen Weg über den Platz zu bahnen.

Barbara Kummler (53) aus Zürich ist Projektleiterin. Sie bewegt sich gerne und oft mit der Bahn von Zürich nach Luzern nach Köln nach Stuttgart nach Basel nach Frankfurt nach …



Andrea Wiss stellt sich vor, dass sie und ihre Familie dereinst keinen festen Wohnsitz mehr hat.
Unterwegs zuhause
Meine Familie ist auf der ganzen Welt zuhause. Wir haben keinen festen Wohnsitz. Wir pendeln ständig hin und her, arbeiten, lernen, entspannen, feiern unterwegs. Dank superschnellen neuen Transportmöglichkeiten sind wir - wenn nötig - innert kürzester Zeit am richtigen Ort. Ansonsten schalten wir uns online zu. Unser Bekannten-Netzwerk ist auf der ganzen Welt verteilt. Besitzen tun wir fast nichts und unser Bett suchen wir uns immer ganz spontan.

Andrea Wiss (25) arbeitet als Digital Consultant gegenwärtig im fernen Hong Kong. Dort bewegt sie sich per U-Bahn, Bus und Tram. Spätabends oder wenn's bequem sein soll, springt sie in ein Taxi.



Christine Rebsamen erzählt von Kai, der mit einem Taxi-Flugzeug zum Meeting reist.
Kais kurze Reise zum Roboter-Meeting
Kai stand am Morgen auf und wurde sofort nervös. Seine Schweissperlen glänzten stärker als das virtuelle Diamantarmband auf seinem Nachttisch. Er atmete nochmals tief durch. Das anstehende Meeting machte ihm etwas Bauchschmerzen, denn seine Idee wurde heute zum ersten Mal ausschliesslich von Robotern bewertet. Kai fragte sich, ob er da wohl jemals wieder lebendig rauskommen würde…
Mit wackligen Beinen machte er sich auf den Weg zum Ausgang. Obwohl sich die Wohnung von Kai im 112. Stock befand, musste er dafür nicht ganz nach unten gehen. Der «Airplane Exit», eine Dockstation für verschiedenste Flugzeugtypen, befand sich nur zwei Stockwerke unter ihm.
Wie am Vortag über eine App vereinbart, traf das Flugzeug pünktlich um 7.30 Uhr beim «Airplane Exit» ein. Es handelte sich um ein sogenanntes Taxi-Flugzeug. Ein Taxi-Flugzeug holte jeweils gleich mehrere Passagiere mit dem gleichen Reiseziel ab. Mit acht Personen an Bord machte sich das Flugzeug auf den Weg von Seattle nach New York. Seit zwei Jahren flogen die Taxi-Flugzeuge nun schon ohne menschliche Piloten. Kai schätzte diese Änderung sehr, denn ohne menschliche Fehler kam es zu deutlich weniger Unfällen.
Während des Fluges setzte sich Kai seine VR-Brille auf. Im Programm wählte er das AC/DC-Konzert, welches er am Vorabend nicht zu Ende schauen konnte. Nach nur wenigen Sekunden befand er sich inmitten einer riesigen Menschenmenge, welche den Hit «Highway to Hell» zum Besten gab. Kai musste für einen Moment schmunzeln – er hoffte, dass er sich nicht selbst auf einem persönlichen «Highway to Hell» befand.
20 Minuten später befand sich das Taxi-Flugzeug bereits im Landeanflug auf die grosse Meeting-Zentrale in New York. Das VR-Konzert zeigte seine Wirkung: Kais Puls befand sich wieder im Normalbereich. Er stand von einem Sitz auf und begab sich durch das Airplane-Gate auf den Weg zum Meeting-Raum 1245. Dort wurde er schon von seinem elektronischen Publikum erwartet.

Christine Rebsamen (24) aus Ennetbürgen ist Employee CRM bei SIGA. Sie nimmt zwar nicht jeden Tag die Bahn, freut sich aber immer auf gemütliche Zugfahrten mit guter Musik.



Jürg Stettler bekommt in seiner Geschichte das Bike per Drohne geliefert.
Logbuch: 1.7.2057 (gekürzt)
Heute findet ein weiteres kurzes Projektmeeting zum Frühstück statt. Nachdem alle Aufgaben verteilt sind, beginnt endlich der Bike-Ausflug zusammen mit Chrigu in den Jura. Dazu fahre ich mit dem selbstfahrenden Mobility-Carsharing Cabrio bei ihm in Lützelflüh vorbei und hole ihn ab. Ab hier fahre ich wieder einmal selbst. Was für ein seltenes und tolles Gefühl! Wir heizen über die Landstrasse und singen lauthals «Ein Bett im Kornfeld».
An der Talstation der Magglingen Bahn in Biel stellen wir das Cabrio ab und fahren hoch. An der Bergstation hat der nicht ganz billige Drohnenservice bereits unsere eigenen High-Tech Mountainbikes abgeliefert. Wir schauen sie uns an – der Luxus hat sich gelohnt, kein einziger Kratzer und alles funktioniert einwandfrei. Bei schönstem Wetter fahren wir gemeinsam über die sanften Hügelzüge des Jura nach La-Chaux-de-Fonds. Dort warten bereits die Drohnen für die Bikes und das selbstfahrende Cabrio wieder auf uns. Auf der Heimfahrt reden wir über alte Erinnerungen und trinken gemütlich ein Bier und einen Cocktail. […]

Jürg Stettler (54) aus Luzern, Institutsleiter und Vizedirektor Forschung HSLU-Wirtschaft, ist jeden Tag bei jedem Wetter mit dem Velo unterwegs: sei es zur Arbeit oder in der Freizeit. Für längere Distanzen nutzt er dank GA und Mobility-Mitgliedschaft öffentliche Verkehrsmittel oder ein Mobility-Auto.



Wird in seiner Geschichte von Robotern begrüsst: Roger Müller.
Ferngesteuert
Ich stehe am Morgen auf. Sehe auf dem Monitor das Wetter. Mir wird vorgeschlagen, was ich anziehen soll. Mir wird auf Grund der Verkehrssituation das optimale Verkehrsmittel vorgeschlagen, respektive bereits ausgewählt und steht zur richtigen Zeit vor meiner Wohnung.
Ich gehe zur Arbeit. Unterwegs erhalte ich die aktuellsten Informationen über ein mobiles Gerät. Wenn ich in der Firma bin, werde ich von Robotern begrüsst. Ich arbeite und telefoniere mit Menschen, die ich physisch nicht sehe.
Ich werde nach der Arbeit von meinem elektronischen Helferlein beraten, wie ich mich am optimalsten von meiner Tagesleistung erhole. Da die Relax-Massnahmen sich von denjenigen meiner Familie unterscheiden werden, findet das, was man früher «das Zusammenleben» nannte, wenig statt. Alles muss immer optimal auf meine körperliche und mentale Verfassung ausgerichtet sein. Ich verlasse mich komplett auf diese elektronischen Helfer. Entscheidungen werden mir abgenommen.

Roger Müller (52) aus Ennetmoos ist Projektleiter Business Applications. Er fährt jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln – Postauto und Zug – zur Arbeit nach Luzern. Während der Reise schaut er gerne aus dem Fenster und nicht auf sein Smartphone.



Jonas Vonäsch (35) trifft sich in seiner Geschichte mit seinen Kollegen in einem Co-Working-Tower.
Im Eilzugstempo von A nach A (gekürzt)
Wir arbeiten am ersten Montag im Monat jeweils nicht viel. Das monatliche Team-Meeting ist jedes Mal für alle ein Highlight! Wir treffen uns immer in einer Grossstadt in einem von diesen abgefahrenen Co-Working-Towern von CoWo-Inc. und machen da einen sehr lockeren Team-Tag. (…)
Nachdem das Flugzeug gelandet war, steckten Miguel und Sämi noch zehn Minuten am Flughafen fest, weil der vorbestellte Goober (selbstfahrendes Taxi) bereits wieder losgefahren war. Sämi hatte vergessen, die Buchung um zwei Stunden zu verschieben und der Goober hat sich entschieden, einen anderen Auftrag in der Innenstadt anzunehmen. Nach 10 Minuten kam dann aber bereits der nächste Goober und nahm die beiden freundlicherweise mit, obwohl Sämi wegen der verpatzten Reservationsverschiebung ein paar Zuverlässigkeitsstrafpunkte in seiner Goober-Kundenbewertung bekommen hat. Nachdem das selbstfahrende Taxi die beiden gekonnt durch die Grossstadt gefahren hatte und sie zur Freude des Autos einen Block früher ausgestiegen waren, damit der Goober rechtzeitig bei den nächsten Fahrgästen sein konnte, haben sich Sämi und das Goober-System wieder «versöhnt» und Sämi hat ein paar Hilfsbereitschaftspunkte in der Goober-Kundenbewertung bekommen. (…)
Für die Heimfahrt von Zürich nach Luzern reserviere ich einen Goober. Ich habe in der Stadt noch auf ein Bier, und je nach Wetter, eine Pizza abgemacht. Ich gebe keine genaue Zieladresse ein, kreuze aber «Wünsche Renn-Velo» an.
Der Goober fährt mich zu einem Velounterstand in einem Wohnquartier und ich leihe mir ein hervorragendes Renn-Velo, welches einem Andreas B. gehört. Der wird von mir ein paar Spezialpunkte für Qualität und Wartung seines Renners bekommen. Ich gebe dem Rad ein «Merken», eventuell steht es ja öfter in Luzern. Mein Smartphone weist mich darauf hin, dass ich eine Strasse weiter die Bohrmaschine zurückbringen könnte. Doofe App, ich habe doch die Maschine nicht ständig bei mir… Später erinnern! Das Wetter stimmt. Ich schalte mein Smartphone aus und freue mich auf das Abendessen.
Der Dienstag ist wieder ein ganz normaler Arbeitstag. Ich fahre mit dem Renner (ich konnte die Reservierung um eine ganze Woche verlängern) zur Bäckerei und hole ein Pausenbrötli. Meistens arbeite ich im Garten oder im Büro zu Hause. Dann ist mein Arbeitsweg jeweils ziemlich kurz: Im Eilzugstempo von A nach A.

Jonas Vonäsch (35) aus Luzern ist Maschinenbau-Ingenieur und Unternehmer. Er pendelt mit dem Fahrrad und reist mit dem Zug. Für ganz seltene, ganz spezielle Situationen leiht er sich ein Mobility Auto.

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